Im Oktober 2021 war Sarah Davachi für einen Talk und ein Konzert zu Gast im smem. Im Folgenden einige Highlights unseres Gesprächs und ein paar Antworten auf Fragen aus dem Publikum. Aktuelle Musik von Sarah ist auf ihrer Bandcamp-Seite zu finden.
Interview
Wie geht es dir? Du bist seit zehn Tagen wieder auf Tour, wie fühlt es sich an?
Es ist kräfteraubend, vor allem wegen dem Jetlag. Der Körper vergisst rasch, wie anstrengend es ist. Aber es fühlt sich grossartig an! Es erinnert dich auch an all die Dinge, die du in dieser Zeit vermisst hast. Zu Hause im Studio war mir dies nicht so bewusst wie jetzt auf Tour.
In den letzten Jahren hast du viel Zeit in deinem Heimstudio verbracht. Hat sich dadurch deine Art des Komponierens verändert?
In den neuen Aufnahmen spiegelt sich sicherlich die viele Zeit wider, die ich zu Hause verbracht habe. Davor baute ich für Aufnahmen normalerweise meine Instrumente extra zu diesem Zweck auf… aber bald schon musste ich alles wieder abbauen, weil ich live spielte. Ich hatte nur wenig Zeit zu Verfügung, um konzentriert an den Aufnahmen zu arbeiten. Während der Pandemie konnte ich hingegen alles aufbauen und für längere Zeit stehen lassen. Ich konnte arbeiten, wann immer mir danach war, das war toll. Ich kam auch dazu, Inventur von all dem Material in meinem Studio zu machen und es endlich sinnvoll zu nutzen! Es ging vor allem darum, ein Gefühl der Klarheit zu schaffen, damit ich die Dinge eine Weile ruhen lassen konnte und mir wirklich die Zeit zu nehmen, meine Ideen zusammenzutragen.
Deine Musik beschwört bestimmte Stimmungen herauf. Wie beeinflussen die von dir benutzten Instrumente deine musikalische Inspiration?
Interessante Frage… Ich bin mir nicht sicher, ob es ein bewusster Entscheid ist. Ich habe eher das Gefühl, dass ich intuitiv zu bestimmten Instrumenten greife, je nachdem, was ich machen will. Natürlich mag ich Orgeln und Synthesizer aufgrund ihrer grossen Klangbreite sehr, obwohl ich mich bei diesen Instrumenten am liebsten auf eine bestimmte Klangfarbe oder Note konzentriere und diese über einen gewissen Zeitraum langsam weiterentwickle.
Ich betrachte Instrumente auch gerne als etwas Ähnliches wie Menschen, da sie alle ihre eigene Persönlichkeit haben und es Dinge gibt, die “sie besonders gut können”. Wenn ich also nach einer bestimmten Stimmung oder einem bestimmten Gefühl in meiner Musik suche, habe ich so eine bessere Vorstellung davon, für welche Instrumente ich mich entscheiden soll. Im Nachhinein liegen einige dieser Entscheidungen auf der Hand, aber wie ich bereits sagte, geschehen sie im Augenblick nicht bewusst. Ich konzentriere mich am Anfang am liebsten auf ein einziges Instrument, alles weitere baut gewissermassen darauf auf.
Du hast im Laufe der Zeit mit vielen Instrumenten gearbeitet. Hast du eine Lieblingsepoche bezüglich des Designs von Instrumenten?
Definitiv die späten 70er- bis frühen 80er-Jahren, da damals der analoge Klang mit der digitalen Regelung kombiniert wurde, wodurch er stabiler wurde. Die Instrumente davor erfüllten ihren Zweck, aber nicht viel mehr… Daher stammen die meisten meiner Lieblingssynthesizer aus dieser Zeit, vor allem aus den späten 70er-Jahren.
In Bezug auf Instrumente im Allgemeinen, würde ich ganz klar die Renaissance sagen. Die Zeit um 1500 ist das goldene Zeitalter der Musikinstrumente, auch wenn es die meisten inzwischen nicht mehr gibt...
Du hast Philosophie studiert, bevor du dich der Musikwissenschaft zugewandt hast. Haben bestimmte philosophischen Erkenntnisse deine Art des Musikmachens beeinflusst?
Auf jeden Fall! Der Zweig der Philosophie, mit dem ich mich am meisten beschäftigt habe, ist die Phänomenologie. Phänomenologie ist im Grunde genommen die Studie der subjektiven Erfahrung, wie Dinge erscheinen oder wie sie sich anfühlen. Bereits zuvor habe ich mich während meines Musikstudiums dafür interessiert, was ein Instrument kann, wie es auf eine ganz bestimmte Art und Weise klingen kann. Fortschreitungen (z.B. zu einem anderen Akkord) interessierten mich weniger, sondern eher spezifische Klänge, die ein Instrument erzeugen kann. Ich verweile gerne bei einem einzigen Klang, um wirklich zu erfahren, wie er sich anfühlt. Ich denke, dass mein musikalischer Ansatz aus dem gleichen Interesse entstanden ist – sozusagen eine langsame Annäherung, wie sich eine Erfahrung anfühlt.
Literatur und Philosophie bieten auch eine Möglichkeit, unsere Kreativität an etwas Tieferem festzumachen als nur an einem Augenblick der flüchtigen Inspiration...
Auf jeden Fall. Eines der interessantesten Seminare, das ich besucht habe, hiess ‘Music and ecstasy’ – eine vergleichende Studie verschiedener religiöser und nicht-religiöser Aspekte von Musik und der Erfahrung von Ekstase. Das war unglaublich! Mir wurde dabei klar, dass diese Erfahrung wirklich überall zu finden ist. Es gibt so etwas wie eine universelle Erfahrung der Beziehung von Menschen zum Klang – gewissermassen eine transzendente Erfahrung.
Fragen aus dem Publikum
Hörst du als Inspiration Musik von anderen?
Ja, klar. Aber ich lasse mich auch von anderen Kunstformen inspirieren. Visuelle Kunst – vor allem Malerei und insbesondere solche, bei der man viel Zeit damit verbringen kann, sie zu betrachten und ihre Texturen zu analysieren – regt mich sehr zum Nachdenken an. Ich lasse mich auch stark vom Film inspirieren. Müsste ich einen Film auswählen, dann wäre es Barry Lyndon von Stanley Kubrick. Ich liebe ihn als Film, aber er ist mehr als das: Ich verwende ihn als eine Art Mantra beim Musikmachen, indem ich mich frage "Was würde Kubrick tun?". Der Film wurde ausschliesslich mit natürlichem Licht gedreht, was ihm eine eindrucksvolle Optik verleiht. Wenn man auf die Pause-Taste drückt, dann sieht jede Einstellung wie ein Gemälde aus. Das möchte ich auch in meiner Musik erreichen, so dass man sie jederzeit anhalten kann und sie trotzdem noch diese Qualität hat. Ich mag den Film auch wegen seines Tempos, er ist wirklich langsam, wodurch jeder Moment genossen werden kann. Tarkowski ist ebenfalls eine grosse Inspiration...
Hast du bereits mit Leuten, die dich beeinflusst haben, gearbeitet, z.B. mit Eliane Radigue?
Ich habe während meiner Masterarbeit brieflich mit ihr Kontakt aufgenommen. Ich versuchte, auf Französisch zu schreiben, aber sie hat mir auf Englisch geantwortet (lacht). Wir haben uns einige Male zu Fragen im Zusammenhang mit meiner Masterarbeit ausgetauscht und ich habe mich nach meinem Abschluss bei ihr bedankt. Als ich später zum ersten Mal Paris besuchte, fragte ich sie, ob sie Zeit für ein Treffen hätte, aber sie war zu beschäftigt...
Du sprichst darüber, Stille in deiner Musik zu verwenden. Kannst du ein wenig mehr dazu sagen?
Stille ist Klang, sie ist Teil meiner Musik. Ich denke, ich nutze sie, um die Art und Weise, wie Leute meine Musik hören, neu zu strukturieren. Ich glaube nicht, dass es ein passendes Wort gibt, um meine Art des Musikmachens zu beschreiben (sei es nun "Drone" oder "Minimalismus"). Aber generell gibt es viele Möglichkeiten, Dauer und Wiederholung auszudrücken und das Erlebnis zu schaffen, das ich wirklich im Sinn habe. Das hilft, den ganzen Hörprozess zu verlangsamen.
- Victorien Genna / 10.11.21